Von klimaneutral zu klimapositiv: „Klimaschutz muss in jedem Unternehmen zur Normalität werden“

01. September 2021 | | 4 Minuten Lesezeit

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Viele Unternehmen wollen ihren Beitrag zum Umweltschutz leisten und klimaneutral werden. Manche Firmen beschäftigen sich schon lange mit dem Thema und haben sogar einen Klimaschutzbeauftragten. Andere wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Fest steht, dass eine Verpackung weniger und eine Fahrt mit dem Fahrrad mehr allein nicht mehr ausreichen. Prof. Dr. Maike Sippel von der HTWG Konstanz hat mit einer Gruppe von Studentinnen und Studenten die CO2-Bilanzen von fünf Konstanzer Unternehmen aufgestellt und Strategien entwickelt, mit deren Hilfe die Firmen klimapositiv statt nur klimaneutral werden können. Wir haben mit Maike Sippel darüber gesprochen, warum es auch für KMU so wichtig ist, auf Klimaneutralität zu achten und warum der Klimaschutz ein Teil jeder Firmenpolitik werden sollte.

Maike Sippel

Prof. Dr. Maike Sippel, HTWG Konstanz, Fachgebiet Nachhaltige Ökonomie

Frau Sippel, was genau ist der Unterschied zwischen klimaneutral und klimapositiv?

Der Begriff „klimaneutral“ bedeutet, dass ich als Unternehmen unter dem Strich das Klima nicht mehr belaste. Dazu muss ich als Unternehmen den Ausstoß von Klimagasen berechnen, die beispielsweise durch Gebäudeheizungen, Stromerzeugungen oder Mobilität entstehen. Um klimaneutral zu werden, muss man den Ausstoß an Klimagasen, vor allem CO2, stark senken – und die verbleibende Menge an Klimagasen, welche man ausgestoßen hat, ausgleichen, zum Beispiel durch das dauerhafte Einbinden von CO2 über die Wiedervernässung von Mooren oder das Einbringen von Pflanzenkohle in die Böden. Mit diesen Ausgleichsmöglichkeiten müssen wir aber sparsam umgehen, da es global gesehen, nicht genug Möglichkeiten des Ausgleichs gibt, um annähernd auf dem Emissionsniveau von heute weiterzumachen. Auch würde ein zu starkes Setzen auf den Ausgleich einem als „Greenwashing“, also sich ohne Grundlage ein umweltfreundliches Image zu geben, schnell auf die Füße fallen. Deshalb liegt der Fokus darauf, mit dem eigenen CO2 Verbrauch stark runterzugehen. Weitermachen wie bisher und dann den Ausgleich suchen, reicht nicht.

Mir gefällt als Konzept „klimapositiv“ noch besser als „klimaneutral.“ Wie der Name schon sagt, bedeutet es, mehr CO2 zu kompensieren als man verursacht hat. Das ist ein Schritt mehr, bei dem man in der Summe dann sagen kann, wir sind nicht nur kein Schaden mehr für das Klima, sondern das Klima hat sogar etwas davon, dass es uns gibt. Die Psychologie dahinter ist der Gedanke, dass wir also etwas Positives beitragen – und das motiviert dann auch mehr.

Warum ist es als einzelnes Unternehmen so wichtig auf Klimaneutralität zu achten?

Die Klimakrise und ihre Folgen bedroht unser friedliches Zusammenleben, wie wir es kennen. Gleichzeitig steckt im Klimaschutz ein enormes Potenzial für Innovationen. Von daher leitet es sich für jeden ab, etwas zu tun, sei es als Privatperson, als Politiker oder eben als Unternehmen. Jeder ist in der Verantwortung, nach besten Kräften zur Lösung beizutragen. Dabei ist es wichtig, neben Maßnahmen zur eigenen Klimaneutralität auch zur Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen beizutragen. Richtig wirksam wird der Klimaschutz nämlich dann, wenn er kein freiwilliges „Nice to have“ mehr ist, sondern in jedem Unternehmen automatisch erfolgt, weil veränderte Rahmenbedingungen es nahelegen. Dann ist der Klimaschutz die neue Normalität.

Nachhaltigkeit

Wie kann man messen, ob ein Unternehmen klimaneutral ist?

Welche Aktivitäten eines Unternehmens am meisten CO2 verursachen, ist oftmals gar nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Für die Berechnung der Emissionen gibt es einige anerkannte Standards und Methoden. Die bekannteste ist das Greenhouse Gas Protocol, kurz GHG-Protokoll genannt. Es gibt bestimmte Emissions-Kategorien, die man hierbei ermittelt und berechnet. Im Rahmen unseres Projektes haben die Studentinnen und Studenten Daten der teilnehmenden Unternehmen abgefragt, zum Beispiel Heiz- und Stromrechnungen oder wie die Mitarbeiter zur Arbeit kommen.

Welche Aktivitäten eines Unternehmens verursachen für gewöhnlich am meisten CO2, zum Beispiel bei einem IT-Unternehmen?

Bei dem IT-Unternehmen combit, welches an unserem Projekt teilnahm, haben wir z.B. festgestellt, dass tatsächlich die Gebäudeheizung ein großer Faktor war. Dann ist die Mobilität eine Stellschraube, das heißt, wir haben ermittelt, wie die Mitarbeiter zur Arbeit kommen, welche Dienstreisen mit welchen Verkehrsmitteln stattgefunden haben. Und daraus leiten sich dann Ansatzpunkte für CO2-Einsparungen ab: Mehr E-Fahrzeuge statt Verbrenner, mehr Bahnfahrten statt Flüge, mehr Videokonferenzen statt Vor-Ort-Geschäftstermine, Umsteigen aufs Fahrrad für den Arbeitsweg oder Bilden von Fahrgemeinschaften. Schwieriger zu bilanzieren ist die Frage, wie viel CO2 zum Beispiel in den Cloud-Lösungen hängt. Da werden die Berechnungen sehr komplex und man müsste tiefer einsteigen, als wir das bei unserem Projekt gemacht haben.

 

Klimaschutz im Unternehmen

 

Haben Sie Tipps wie man als KMU startet, um klimaneutral zu werden?

Man sollte mit der Bilanzierung starten, um festzustellen, wo wirklich die großen Stellschrauben sind. Die Papp- oder Plastikbecher in der Mensa beispielsweise sind ein beliebtes Thema und ein Symbol für Umweltverschmutzung. Aber sie machen nur einen verschwindend geringen Anteil der Klimabilanz aus – das Schwergewicht sind die tierischen Bestandteile der Gerichte. Deshalb setzt man für einen wirklichen Beitrag zum Klimaschutz dann auch hier an. In anderen Unternehmen fängt man beispielsweise mit der Frage an, wie die Mitarbeiter zur Arbeit kommen.

Welche Unterstützung gibt es für KMU?

Unterstützung gibt es im Landkreis Konstanz zum Beispiel durch die Energieagentur, die Unternehmen eine Beratung zur CO2-Bilanz und den erforderlichen Maßnahmen anbietet, etwa die gemeinsame Erarbeitung einer richtigen Klimastrategie. Und diese Leistung kann man auch bei privaten Anbietern einkaufen.

 

Was kann man als Privatperson für das Klima tun?

Auf der privaten Ebene erlebe ich häufig, dass die erste Assoziation mit dem Klimaschutz ist, Verpackungen einzusparen. Das macht in einer typischen Bilanz eines Menschen in Deutschland gerade einmal ein Prozent aus. Es gibt viel größere Stellschrauben: Wie viele Tierprodukte esse ich, wie viele Kilometer bin ich mit dem Auto oder auch mit dem Flugzeug unterwegs? Und: Wie wichtig ist mir das Thema Klima zum Beispiel bei politischen Wahlen? Und habe ich darüber schon einmal mit meinem Abgeordneten oder Oberbürgermeister gesprochen? Das sind die wirklichen Hebel für unser Handeln als Individuum.

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