Die digitale Welt für alle verständlich machen

16. August 2023 | | 4 Minuten Lesezeit

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Kim Hoffmann, Stabsstelle digitale Innovation und Fördermittel Stiftung Liebenau

WhatsApp, E-Mails, soziale Netzwerke und noch einiges mehr. Unser Leben findet zunehmend online statt – doch längst nicht für jeden. In Friedrichshafen gibt es seit vergangenem Jahr das „Digitallabor“ – einen Begegnungsort für Menschen mit und ohne Behinderungen. Das Ziel: Digitale Medien allen zugänglich machen und voneinander lernen. „Wir wollen Brücken bauen“ sagt die Heilpädagogin Kim Hoffmann, die Initiatorin des Projektes.

Das Digitallabor ist unter dem Dach der Stiftung Liebenau entstanden, einer operativ tätigen karitativen Stiftung, die verschiedene Lebensbereiche abdeckt: Altenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Pflege und Behindertenhilfe. Wir haben mit Kim Hoffmann über die Entstehung und die Ziele des Digitallabors gesprochen.

Wie ist die Idee für das Digitallabor entstanden?

Bei der Stiftung Liebenau war ich zunächst als Assistenz der Geschäftsführung und in der Fördermittelberatung tätig. Hier habe ich laufende Projekte begleitet stets mit dem Blick darauf, wie Fördermittel eingesetzt werden können und wie man Menschen mit Behinderungen von Anfang an beteiligen kann. Wichtig war mir dabei auch immer die Möglichkeit des Brückenbaus: Wie passt der Bedarf eines Menschen mit Behinderung mit denjenigen zusammen, die Entscheidungen treffen? Wie lernen sie voneinander? Was für Bedürfnisse gibt es?

2020 kam Corona. Wie so viele Unternehmen haben auch wir uns physisch isoliert und sind in den digitalen Raum gegangen. Da kam schnell die Frage auf: Wie geht es Menschen mit Behinderung damit? Wie erleben sie diese Zeit? Sind sie digital fit oder brauchen sie Unterstützung? Ist es nicht sogar eine ideale Gelegenheit, dass wir gemeinsam lernen? Daraufhin haben wir die digitale Plattform „Ideenveschper“ geschaffen. Menschen mit Behinderungen aus der Stiftung Liebenau, aber auch von außerhalb, konnten uns digitale Beiträge schicken, zum Beispiel Kochvideos. Das haben wir auf Instagram hochgeladen.

Wie ging es dann weiter?

Wir haben schnell gemerkt, dass der Aufruf „Schickt uns Beiträge für die sozialen Medien“ einen Schritt zu früh war und wir uns erst einmal um die Infrastruktur kümmern müssen: Habe ich Zugang zum Internet? Habe ich WLAN? Kann ich selbstständig etwas hochladen? Habe ich ein Gerät, mit dem ich das tun kann?

Wir hatten Menschen, die Lust auf eine Mitarbeit hatten, aber den digitalen Raum nicht kannten.  Daraus entstand unsere nächste Projektidee, um den Menschen mit Behinderungen, aber auch den Assistenzkräften, den Umgang mit den digitalen Medien näherzubringen. Das Projekt: „Netzchecker“ richtete sich an Wohngruppen und ambulante Dienste, bei denen wir Grundlagenschulungen durchgeführt haben.

Warum habt ihr euch entschieden einen physischen Raum in Friedrichshafen für digitale Teilhabe zu schaffen?

Die Projekte IdeenVeschper und Netzchecker haben gezeigt: Wenn man Digitalisierung digital erklärt, stößt man schnell an seine Grenzen. Deshalb haben wir das Digitallabor geschaffen, an dem wir das bündeln können: die digitale Welt an einem physischen Ort erklären. Man findet im Digitallabor aber nicht nur digitale Geräte, sondern bewusst auch eine Ecke mit Zeitschriften. Ein bekanntes Setting, wo man sich hinsetzen kann und überlegen: „Welche Fragen habe ich eigentlich?“

An wen richtet sich das Labor?

Das Labor richtet sich an alle. Das Konzept entstand ja aus der Idee, gemeinsam zu lernen und Wissen zu teilen. In der Regel sind es ältere Menschen, die zu uns kommen und Fragen haben. An drei Nachmittagen in der Woche finden zum Beispiel Einzelberatungen statt, das heißt, man kann einfach vorbeikommen und seine Fragen stellen. Darüber hinaus bieten wir kostenlose Kurse an, zum Beispiel zum Thema: „Mein Smartphone und ich“. Wir geben auch Schulungen, für die wir meist von anderen Trägern beauftragt werden, beispielsweise zum Thema Online-Banking und digitale Bezahlmethoden.

Wie wird das gemeinsame Lernen im Digitallabor gelebt?

Uns ist es ein Anliegen, gerade die Zielgruppe als Experten zu befähigen, die sich in vielen Situationen nicht selbstbestimmt bewegen können oder dürfen. Unsere Experten sind also in der Regel Menschen mit Behinderungen, die eine Praktikumsphase durchlaufen, bevor sie den Expertenstatus erreichen und dann im Digitallabor allein oder im Tandem beraten. Das Tandem setzt sich wiederum aus Fachkräften unserer Stiftung und den Experten zusammen, so ermöglichen wir wiederum das gemeinsame Lernen. Bei der Entwicklung der Kursinhalte arbeiten wir mit dem Franchiseanbieter PIKSL (Personenzentrierte Interaktion und Kommunikation für mehr Selbstbestimmung im Leben). Wir haben viel aus diesem Netzwerk übernommen und von den bereits vorhandenen Inhalten profitiert. Auch hier kommt das gemeinsame Lernen wieder zum Tragen.

Wie wichtig es für euch, mit weiteren Institutionen und Partner zusammenarbeiten?

Sehr wichtig, wir möchten mit dem Digitallabor ja gerade diese Brücke bilden, zum Beispiel zwischen Verbrauchern und Entwicklern. Wir arbeiten viel mit Universitäten (Universität Konstanz) zusammen, die für ihre Forschung bzw. Studien die Nähe zur Zielgruppe suchen. Letztes Jahr kam ein Startup aus München auf uns zu, welches digitale Geräte für ältere Menschen entwickelt hat und diese nun auch für Menschen mit Behinderungen einsetzen wollte. Hier können wir die Brücke sein und als PIKSL Labor den inklusiven Test-Prozess zwischen dem Startup und der Eingliederungshilfe koordinieren. Unsere Experten und Expertinnen geben dabei wertvolle Rückmeldungen zur Software und sinnvollen Anpassungen für die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen.

Welche Learnings nehmt ihr aus den ersten Monaten des Digitallabors mit?

Digitale Technologien werden immer mehr Teil unseres Lebens werden. Für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen bedeutet dies sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Während weiterhin digitale Barrieren abgebaut werden müssen, bieten sich gleichzeitig neue Möglichkeiten zur Teilhabe und Selbstbestimmung. Im Labor Alltag erlebe ich diese Möglichkeiten der Selbstbestimmung jeden Tag. Und das klappt vor allem dadurch so gut, weil sich alle Beteiligten auf die Arbeit im inklusiven Team einlassen. Wir überlegen uns bei jedem Auftrag, jeder Frage oder jeden Aufgabe wie das Team diese bestmöglich erledigten kann. Jeder übernimmt seinen Part, sei es bei der Begrüßung, dem Pflanzengießen oder als Smartphone-Experte. Es gibt für jeden die passende Aufgabe, man muss sich nur auf Augenhöhe begegnen und Zeit füreinander nehmen.

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