Vertrags-Check auf Knopfdruck: Ein Projekt der Konstanzer Rechtswissenschaft und der Informatik

02. Oktober 2023 | | 3 Minuten Lesezeit

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Ein Projekt der Konstanzer Rechtswissenschaft und der Informatik leistet Pionierarbeit: Mit einem Logik-basierten Modell können Unternehmenskaufverträge automatisch auf Widersprüchlichkeiten getestet werden. Das Projekt ist Teil des Centre for Human | Data | Society.

Wechseln die Besitzverhältnisse eines Unternehmens, kann das einen Unternehmenskaufvertrag von mehreren hundert Seiten zur Folge haben. Zur Länge kommt die Komplexität der inhaltlichen Bestimmungen. An der Ausarbeitung eines solchen Vertrags sind dann häufig viele Personen beteiligt, die Verhandlungen sind lang und der Takt der Änderungen ist hoch. Hier den Überblick zu behalten ist schwer. Die Gefahr von unentdeckten Widersprüchen, falschen Verweisen, fehlenden notwendigen Klauseln oder nicht erfüllbaren Forderungen ist groß. Es ist wie beim Memory-Spielen: Deckt man eine Karte auf, muss man wissen, wo das entsprechende Gegenstück liegt, damit sich keine Inkonsistenzen einschleichen.

Rüdiger Wilhelmi kennt das Problem auch aus der Praxis. Bevor er an der Universität Konstanz die Professur für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung antrat, hat er in der Rechtsabteilung eines großen Industrieunternehmens selbst solche Verträge mitverhandelt. Damals hat er sie „händisch“ auf entsprechende Fehler durchsucht. Gemeinsam mit dem Informatiker Stefan Leue entwickelt er nun das Modell „ContractCheck“, das in der Lage ist, Unternehmenskaufverträge vollautomatisch auf Nicht-Eindeutigkeiten hin zu analysieren.

Stefan Leue, Professor für Software and Systems Engineering an der Universität Konstanz, vergleicht das Werkzeug mit der Rechtschreib- und Grammatikprüfung in einem Schreibprogramm, das Fehler in der Texteingabe durch Unterkringeln kenntlich macht. Unternehmenskaufverträge eignen sich ganz besonders für solch ein Modell, da sie häufig aus sehr ähnlichen Textblöcken bestehen, die sich nur in konkreten Angaben, wie zum Beispiel im Preis, unterscheiden. „Im Fall internationaler Unternehmenskäufe wird geschätzt, dass etwa die Hälfte des Textes hinsichtlich der Bestimmungen wenig oder gar nicht geändert wird“, so Wilhelmi. Hinzu kommt, dass Unternehmenskaufverträge in der Regel relativ in sich abgeschlossen sind und somit eine weitere Komplexität durch das rechtliche Umfeld eliminiert ist.

Typische Klauseln müssen in logische Blöcke übersetzt werden

Die Aufgabe für die juristische Seite bestand somit darin, in einem eigens erstellten Mustervertrag typische Klauseln zu identifizieren und in logische Blöcke zu übersetzen. Da tauchen Fragen auf wie: Was sind die Bestandteile eines Vertrags, wie sehen deren Strukturen aus, wie gestaltet sich der logische Zusammenhang der unterschiedlichen Teile? Um diese logischen Abhängigkeiten zu formalisieren, haben sich die Informatiker für eine Beschreibungstechnik entschieden, die auf der Aussagenlogik und sogenannten „entscheidbaren“ Teilen der Logik erster Stufe basiert. In dieser Logik können für jeden Block eines juristischen Vertragswerks logische Aussagen festgehalten werden, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind. Damit wird es Algorithmen möglich, „automatisch, quasi auf Knopfdruck, festzustellen, ob ein logisches System, und damit ein Vertragswerk, konsistent ist oder nicht“, so Leue.

Implizites Wissen muss explizit werden

Diese Blöcke bilden beispielsweise den Namen der Käuferin oder des Käufers, den Kaufgegenstand oder den Kaufpreis ab. Neben weit komplexeren Teilen der Formalisierung, die das Gesetzeskonzept und die Vertragspraxis unter einen Hut bekommen müssen, ist das sogenannte Judiz, „das Bauchgefühl der Juristen“, wie es Wilhelmi nennt, ein Beispiel für die besondere Herausforderung. Dieses implizite Wissen muss für die Formalisierung explizit gemacht werden.
Wobei es einen ständigen Austausch zwischen Rechtswissenschaft und Informatik gibt – durchaus zum gegenseitigen Vorteil. „Das war sehr fruchtbar, da wir an Stellen eine Entscheidung treffen mussten, über die wir noch nie nachgedacht haben, weil es in einem praktischen Fall nie aufgetaucht ist“, muss der Jurist zugeben. Auf der anderen Seite profitiert die Informatik, indem die Techniken des Software Engineering auf andere Bereiche angepasst und somit in ihrem Anwendungsbereich erweitert werden.

Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen

Wie bei jeder Abstraktion gehen auch bei der Formalisierung der Unternehmenskaufverträge Einzelheiten verloren. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es immer Bereiche geben wird, wo das Modell funktioniert und wo es – möglicherweise notwendigerweise – unscharf ist. Das ist durchaus gewollt. Rüdiger Wilhelmi: „Es wird Werkzeuge geben, die dem Menschen dabei helfen, bislang klassisch juristische Tätigkeiten zu automatisieren, aber es wird nicht gelingen, den Menschen vollständig zu ersetzen.“
Das Team um die beiden Professoren mit Mitarbeitenden aus Informatik und Recht, welches das Projekt unter dem Dach des Centre for Human | Data | Society durchführt, ist aktuell dabei, auf der Basis ihres Prototyps zu testen, ob sich mit Methoden der Künstlichen Intelligenz aus den Verträgen automatisch die Blockstruktur bzw. die einzelnen Module ableiten lassen. Ergänzt wird es durch Andreas Spitz, Juniorprofessor für Data and Information Mining. Dazu soll ein existierendes Sprachmodell mit Musterverträgen trainiert werden. Auch Stefan Leue sagt: „Wir wollen nicht Rechtsprechung durch Methoden der Künstlichen Intelligenz ersetzen. Es sollen keine juristischen Entscheidungen vorbereitet oder gar getroffen werden. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen.“

Das Centre for Human | Data | Society

Das Centre for Human | Data | Society (CHDS) wurde im Herbst 2022 an der Universität Konstanz gegründet. Das Forschungszentrum untersucht die Prozesse der Digitalisierung und Datafizierung in unserer (Daten-)Gesellschaft und stellt dabei den Menschen in den Mittelpunkt: Welche Interaktionen bestehen zwischen Mensch und Datengesellschaft? Was für eine Datengesellschaft wollen wir und wie soll sie gestaltet werden? Das CHDS analysiert hierfür mit einer transdisziplinären Perspektive die technischen, rechtlichen, politischen, psychologischen, medienkulturellen, historischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Datengesellschaft.

 

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