„Digitalisierung im Unternehmen funktioniert erst, wenn die internen Abläufe und Prozesse klar sind“

03. Mai 2021 | | 5 Minuten Lesezeit

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Die voranschreitende Digitalisierung sorgt in vielen Unternehmen für Unsicherheit. Führungskräfte tun sich oft schwer, ein systematisches Vorgehen für ihre Firma zu entwickeln. Dabei liegt es oft gar nicht an der Digitalisierung selbst, sondern daran, dass man erst einmal die richtigen Fragen zum firmeninternen Ablauf stellen muss, bevor man digitalisiert. Wir haben mit Sven Geelhaar, Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung werte+mehr®, und Andreas Eiden, Leiter der Arbeitsgruppe “Smart Systems Lifecycle Management” am Lehrstuhl für Virtuelle Produktentwicklung an der Technischen Universität Kaiserslautern, darüber gesprochen, warum man als Unternehmen einen Digitalisierungsfahrplan erstellen sollte und wie das geht.

 

Der Begriff Digitalisierung wird oft unterschiedlich definiert. Was versteht ihr unter Digitalisierung?

Andreas Eiden

Andreas Eiden

Für uns umfasst die Digitalisierung nicht nur die Umwandlung analoger Prozesse in digitale Prozesse, sondern einen grundlegenden Paradigmen-Wechsel im gesamten Unternehmen. Einfache Maßnahmen, wie die Ablösung von Papierdokumenten durch Workflows, gibt es schon seit Jahren. Aber die ganzheitliche Optimierung des Unternehmens unter Einbindung digitaler Technologien als Treiber von Innovationen, fällt Unternehmen aus sich heraus schwer.

 

Warum ist das so?

Andreas Eiden

Andreas Eiden

Durch die Vielfalt an Möglichkeiten fällt es sehr schwer, Struktur und einen roten Faden in das Thema Digitalisierung zu bringen. Gerade weil so viele Verknüpfungen bestehen, sieht man oft nicht, wo man anfangen soll, um die Komplexität aufzubrechen und zu starten. Ein Digitalisierungsfahrplan kann dabei die notwendige Orientierung bieten.

 

Wenn ein Unternehmen auf euch zukommt und einen Digitalisierungsfahrplan möchte, was ist der erste Schritt?

Sven Geelhaar

Sven Geelhaar

Am allerwichtigsten ist die Bestandsaufnahme. Wenn man nicht weiß, wie die Abläufe sind, kann man diese auch nicht mithilfe digitaler Möglichkeiten optimieren. Wir sprechen mit unseren Kunden, um ihre Ziele und Motivation besser zu verstehen, das heißt, wir bekommen im Gespräch einen ersten Eindruck des Unternehmens. Welche Produkte und Services bietet es? Wer sind die Wettbewerber? Wie sehen die Prozesse, Strukturen und Technologien grundsätzlich aus? Ganz wichtig ist auch die Frage nach Kompetenzen und Firmenkultur. In vielen Unternehmen haben wir festgestellt, dass zunächst einmal die interne Kommunikation und Fehlerkultur näher betrachtet werden sollten. Erst wenn dieses Gesamtbild vorliegt, kann man mit der Erstellung eines Digitalisierungsfahrplans beginnen.

Was ist eure weitere Aufgabe in diesem Prozess?

Andreas Eiden

Andreas Eiden

Wir stellen dem Projektteam einen Methodenbaukasten zur Verfügung, mit dem es Schritt für Schritt von der Entwicklung der Digitalisierungsstrategie bis hin zum fertigen Digitalisierungsfahrplan angeleitet wird. Wir moderieren den Prozess und setzen gezielt Impulse, um die Analyse zu verfeinern, Verbesserungspotenziale zu identifizieren und für neue Lösungsideen zu inspirieren. Ein Beispiel: Eine Firma will ihre Prozesse verbessern. Bisher speichert der Vertriebler seine Daten dort, wo er sie immer gespeichert hat, druckt sie aus und gibt sie an die Produktion weiter. Diese ergänzt oder ändert, speichert an einem anderen Ort, druckt wieder aus und gibt sie an den nächsten Kollegen weiter. Die Daten, wie beispielsweise Verkaufszahlen oder Zeitpläne, sind dann teilweise doppelt vorhanden oder verschwunden. Das Team analysiert den Prozess im Detail, damit nicht ein schlechter analoger Prozess zu einem schlechten digitalen Prozess wird. Anschließend wird gemeinsam ein neuer Ablauf entwickelt, bei dem sichergestellt ist, dass er Teil eines digitalen Gesamtkonzepts der Firma ist.

Wie wird dann der Digitalisierungsfahrplan erstellt?

Sven Geelhaar

Sven Geelhaar

Der Zeitrahmen, bis ein Fahrplan vorliegt, bewegt sich zwischen sechs Wochen und drei Monaten. Nachdem die Digitalisierungspotenziale vorliegen, ist eine sogenannte Roadmap zu erstellen. Diese fokussiert jedoch nur auf die technologischen Themen. Es ist also eine Art Implementierungsplan für die digitalen Verbesserungsmaßnahmen. Das reicht aber nicht aus. Denn es gibt noch eine Reihe an Elementen, die eine Roadmap zu einem Digitalisierungsfahrplan werden lassen. Dazu gehören neben einem professionellen Projektmanagement vor allem die Gestaltung des kulturellen Wandels, der mit der Digitalisierung einhergehen muss, ein breites Kommunikationskonzept, der gezielte Kompetenzaufbau, um den digitalen Anforderungen gerecht zu werden, aber auch die Stammdatenbereinigung und -pflege, ohne die die digitalen Lösungen fehlerhafte Ergebnisse liefern

Welche Schwierigkeiten kann es geben bei der Umsetzung eines Digitalisierungsfahrplans?

Andreas Eiden

Andreas Eiden

Ganz wichtig ist die Rolle der Mitarbeiter. Sehen die Mitarbeiter die Digitalisierung als Erleichterung an oder haben sie Angst davor? Denn je größer der innere Widerstand ist, desto höher ist das Risiko, dass die Digitalisierung scheitert. Deshalb muss man sie von Anfang an mit auf den Transformationsweg nehmen und zeigen, dass man mit ihnen und nicht gegen sie digitalisiert. Daher ist ein zentraler Bestandteil unseres Digitalisierungsfahrplans die Integration von Aspekten, die über die reine Technologiesicht hinaus gehen. Das heißt, wir arbeiten auch an der Unternehmenskultur, wie zum Beispiel an der internen Kommunikation, um wirklich alle mit ins Boot zu holen.

Wer sollte bei der Erstellung des Digitalisierungsfahrplans dabei sein?

Sven Geelhaar

Sven Geelhaar

In jedem Fall immer ein interdisziplinäres Team. Die verschiedenen Perspektiven ergänzen sich zu einem Gesamtbild und provozieren kritische Fragen, die für ein besseres Prozessverständnis sehr nützlich sind. Außerdem führt es dazu, dass man für die Probleme der anderen sensibilisiert wird. Je nach Projektfokus sollten neben denjenigen, die die Prozesse tagtäglich ausführen, die jeweiligen Führungskräfte und natürlich die IT-Abteilung eingebunden sein.

 

Könnt Ihr positive Beispiele nennen, wo die Umsetzung gut funktioniert hat?

Sven Geelhaar

Sven Geelhaar

Wir haben mit einem Werkzeughersteller aus der Region zusammengearbeitet. Das Ausgangsziel war die digitale Vernetzung von Konstruktion-Produktion-Qualitätssicherung. Die Prozessanalyse zeigte jedoch, dass die Hauptprobleme im Unternehmen in den Prozessen zwischen Vertrieb und Konstruktion lagen. Der Digitalisierungsbedarf der nachfolgenden Prozesse veränderte sich dadurch grundlegend. Statt hoher Investitionen konnten vorhandene Systeme mit geringem Aufwand erweitert werden, um das Verbesserungsziel zu erreichen. Die Belegschaft zeigte sich durch die gemeinsame Projektarbeit wesentlich positiver und offener in Bezug auf die Digitalisierung. Es wurde klar, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist, sondern den Menschen und dem Unternehmen zu dienen hat. Neben einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen konnten Durchlaufzeit, Fehlerrate und Herstellungskosten gesenkt werden.

 

cyberHR